Lena hat mit ihrem Freund Kurt ein Haus gekauft. Es scheint, als wäre ihre größte Herausforderung, sich an die neuen Familienverhältnisse zu gewöhnen, daran, dass Brandenburg nun Zuhaue sein soll. Doch als Kurts kleiner Sohn bei einem Sturz stirbt, bleiben drei Erwachsene zurück, die neu lernen müssen, wie man lebt. (Text der Titelklappe)
Schon mit ihrem Buch „180° Meer“ hat mich Sarah Kuttner vor drei Jahren begeistert. Nun hat sie es wieder geschafft.
„Kurt“ fühlte sich unfassbar real an. Vielleicht, weil ich so viel davon mit meiner eigenen Geschichte verbinden kann.
Es fängt schon mit dem Setting an. Brandenburg. Das Bundesland, in dem ich geboren und aufgewachsen bin. Erst mit 20 Jahren hab ich es verlassen. Kuttner hat es geschafft, mir wieder für seine Schönheit die Augen zu öffnen. Die Alleen und Seen, die Wälder und die Parks.
Hierhin hat es nun Lena und Kurt verschlagen, damit sie näher bei dem kleinen Kurt sein können. Die Vater-Sohn-Beziehung hatte unter der Entfernung Berlin-Oranienburg zu sehr gelitten.
Da sitzt Lena nun. Sie, das Großstadtmädchen, die Freiberuflerin, die Kinderlose. Plötzlich ist der Sohn ihres Freundes den halben Monat bei ihnen. Plötzlich muss sie sich mit Gärten und Hausrenovierungen auseinandersetzen. Plötzlich ist alles anders, aber nicht unbedingt weniger schön. Bis Kurt stirbt. Und Lena plötzlich mit einem verwaisten Vater zusammen ist.
Schon der Klappentext verrät den großen Knall. Ich wusste, was passieren wird und trotzdem habe ich Kurti mein Herz stehlen lassen. Dieser kleine, herzliche Junge mit den fehlenden Schneidezähnen und Spielzeugautos in der Hand. Voller Spannung und Angst habe ich jede Situation kritisch beäugt, in der sich Kurt befand. Bis es kam. Es.
Doch auch danach verlor das Buch nichts von seiner Anziehungskraft. Ich musste doch sehen, ob Lena und Kurt – und auch Klein-Kurts Mutter Jana – ein wenig heilen können.
Wie sehr mich das Buch in seinen Bann zog, konnte ich klar an Zahlen festmachen. Ich wollte nur mal kurz am ersten Abend reinlesen. Den ersten Satz lesen. Die erste Seite vielleicht. Dann war ich auf Seite 140 und musste ins Bett. Den Rest habe ich am nächsten Tage gelesen.
Sarah Kuttner schafft es aber auch jedes Mal, dass mein Herz aufgeht bei ihrer Art zu erzählen. Wenn Leute sich in Gedanken verbummeln und durch den Garten hotten, um die Blumen zu gießen, dann bin ich zuhause. Dann bin ich selber wieder in Brandenburg und kieke, anstatt zu gucken. Gerade mit dieser Art zu schreiben, schafft sie kleine Lichtstrahlen in all dem Grau des Buches. Ich musste nicht selten lachen und damit ist doch eine weitere Parallele in das echte Leben gezogen. So traurig alles ist, man sollte nicht sein Lachen verlieren.
Mit ihrer Sprache hat sie aber noch mehr geschafft, was mir erst aufgefallen ist, als das Buch beendet war. Ich habe sie vor mir gesehen – Lena, Kurt, Kurt, Jana, den Nachbarn, die Schwester. Als würde ich sie kennen. Dabei wurde nicht einer beschrieben. Ich weiß nicht mal, ob Kurti braune oder blonde Haare hat. Aber all das brauchte ich nicht, um das Gefühl zu bekommen, ich hätte die Personen alle schon mal gesehen.
„Kurt“ – ein Buch wie ein Bosse-Song. Melancholisch und leicht zugleich. Und ein bisschen Brandenburg-Romantik, wie in seinem Lied „Frankfurt Oder“.
Ich habe großes Glück. Ich weiß nicht, wie es ist, ein Kind zu verlieren. Aber einige Personen in meiner Familie wissen es. Und das Buch gibt mir die Kraft, mich das nächste Mal zu meiner Oma zu setzen, ihre Hand zu nehmen und zu fragen: „Sag doch mal, wie hast du das überlebt?“
Ich durfte dahingegen dieses Buch lesen, während meine neugeborene Tochter auf mir lag. Ich musste aufpassen, ihr nicht das Köpfchen nass zu weinen und sie gleichzeitig nicht beim Lachen zu sehr durchzuschütteln. Und vielleicht ist das alles, was man über „Kurt“ wissen muss.
Sarah Kuttner – Kurt
S. FISCHER, 13. März 2019
ISBN 3103974248
240 Seiten
Gebunden; 20,00 Euro
Ein Kommentar (+deinen hinzufügen?)