Margit Ruile – Der Zwillingscode

Was passiert, wenn die Dinge, die wir erschaffen, uns gar nicht mehr brauchen?

Vincent ist siebzehn und eine Doppel-C-Seele. Sein Sozialpunktestand ist so niedrig, dass an ein Studium nicht zu denken ist. Stattdessen repariert er heimlich die mechanischen Haustiere der Firma Copypet. Eines Tages bringt eine alte Frau eine Katze zur Reparatur. Und die führt Vincent geradewegs in die Simulation – eine virtuelle Welt, in der alle unsere Gegenstände ihr digitales Leben führen. Verborgen in dieser Zwillingswelt aber liegt ein Code. Vincent muss ihn finden, denn davon hängt die Zukunft der Menschheit ab. (Klappentext)

Ich liebe diesen Plot! Virtuelle Welten, digitale Zwillinge, künstliche Intelligenzen, dystopischer Ansatz mit dem Sozialpunktestand – ich war direkt sofort dabei.

Margit Ruile macht es dem Leser sehr einfach, in das Buch einzusteigen. Ohne großes Vorgeplänkel ist man bei Vincent und steckt mittendrin in einem neuen, illegalen Auftrag. Denn das Reparieren der mechanischen Tiere darf eigentlich nur der Hersteller selber. Doch irgendwie muss Vincent nicht nur sich, sondern auch seinen Künstler-Vater über Wasser halten. Der Sozialpunktestand von ihnen beiden ist so schlecht, dass es erstens zu keinen besseren Jobs reicht und ihnen zweitens nun auch noch ihr Haus weggenommen werden soll.
Doch die Sorgen rücken ganz schnell in den Hintergrund, denn was als einfacher Reparatur-Auftrag begann, entwickelt sich schnell zu etwas, was nicht nur das Leben des Siebzehnjährigen gehörig auf den Kopf stellt.

Vincent ist ein toller Junge, den ich mit seiner Intelligenz und Schlagfertigkeit schnell ins Herz geschlossen habe. Doch auch seine emotionale Seite spielt eine große Rolle, ist gar ausschlaggebend für das ganze Abenteuer, in das er hineinschlittert.
Doch auch alle anderen Figuren mochte ich gern. Sie sind vielschichtig, klug, loyal und vor allem authentisch. Sie sind alle wirklich toll gezeichnet – niemand ist schwarz oder weiß. Es wird nicht auf Biegen und Brechen ein Antagonist aufgebaut, der böse ist, um der Bosheit Willen. Jeder hat seine – vollkommen nachvollziehbaren – Beweggründe in die eine oder andere Richtung.

Gemeinsam mit ein paar Menschen, die seinen Weg kreuzen, begibt sich Vincent also auf die Suche nach dem Zwillingscode. Die Simulation, diese digitale Welt neben unserer Realität, ist nur ein kleines bisschen weiter gedreht von dem, was es heute schon gibt: Das Internet der Dinge. Die Autorin hat hier also mit minimalen Änderungen etwas geschaffen, was unserer Realität nicht sehr fern ist.
Überhaupt hat sie verschiedene Komponenten, wie das Sozialpunktesystem, das man hier oder dort schon einmal gesehen und gelesen hat, neuartig, interessant und klug zusammengesetzt.

Auf dem Weg, den Vincent gehen muss, entfalten sich erst nach und nach die Geheimnisse und es vervollständigt sich ein Bild. Ich hatte wirklich viel Spaß daran, zu versuchen, die einzelnen Puzzleteile selber schon richtig zusammenzusetzen. Manchmal war es ein wenig wie ein Escape-Game, bei dem nicht die Frage ist, wie man aus dem Raum herauskommt, sondern wie man in ihn hineinkommt.

Da Vincent in die ganze Situation ungewollt reinschlittert, ist sein Weg mehr von Zufällen und plötzlichen Gedankenblitzen geprägt. Er ist weder linear noch einfach und doch ist alles recht zielgerichtet. Es werden wenige Blicke nach rechts und links gestattet und dabei hätte ich gern noch so viel mehr von der Welt im Jahr 2058 erfahren, in dem Sozialpunkte darüber entscheiden, wo man wohnt und wie die Bildung ist – und wahrscheinlich noch so viel mehr. Ich wäre gern noch ein wenig länger in diesem zukünftigen München geblieben.

Ich fand das Setting, die Personen und die Idee also wirklich klasse. Ich rätselte mit und las fasziniert von dieser Zukunft.
Das Einzige, was meinen Lesefluss nur hin und wieder störte, waren manche Gedanken und Einfälle der Figuren, die mir dann doch zu spontan und abwegig erschienen. Ab und zu konnte ich auch den Gedankengängen der Autorin nicht folgen und ich schien irgendwie nicht hinterherzukommen. Das ließ mich stocken und hinterließ immer so ein schales Gefühl, als würde mir Wissen fehlen oder als hätte ich Hintergründe oder Zusammenhänge nicht mitbekommen. Als wäre nicht alles komplett sauber erzählt.

Weitere Kritikpunkt gibt es kaum. Ich fand die Geschichte toll, aber ein kleines bisschen mehr Spannung hätte ihr auch gutgetan. Es fehlten – auch wenn sich vieles erst nach und nach erklärt – große Enthüllungen oder Überraschungen. Es waren welche vorhanden, keine Frage, aber sie ließen mich nicht erstaunt zurück.
Das Ende war dann erst ein wenig klischeehaft und anschließend unbefriedigend, wenn auch nicht unlogisch oder unpassend.

Margit Ruile kommt ursprünglich vom Film und das merkt man dem Buch ein wenig an. Es liest sich wie ein Film, der sich an genau den richtigen stellen Zeit nimmt und vorspult, wo es nötig ist. Ich hatte so viele Bilder im Kopf und hatte wirklich Spaß an dem Buch.

Margit Ruile – Der Zwillingscode
Loewe Verlag GmbH, 13. Januar 2021
ISBN 3743203243
315 Seiten
Broschiert; 14,95 Euro

Kostenloses Rezensionsexemplar

2 Kommentare (+deinen hinzufügen?)

  1. Trackback: Ein Fest für Verschwörungstheoretiker – trotzdem feiere ich dieses Buch: Der Zwillingscode von Margit Ruile (Rezension) – Lieblingsleseplatz
  2. Trackback: Rezension zu Der Zwillingscode von Margit Ruile - angeltearz liest

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