Er hat gute Noten, er geht auf Partys, er flirtet mit dem hübschesten Mädchen der Schule – auf den ersten Blick wirkt Khalils Leben wie das seiner amerikanischen Mitschüler. Doch der Schein trügt: Khalil und sein älterer Bruder Amir leben in einem heruntergekommenen Loch und halten sich nur notdürftig über Wasser. Amir sieht sich im Internet immer häufiger gewalttätige Videos von islamistischen Hasspredigern an. Außerdem twittert er über den Kampf gegen den »heuchlerischen Westen«. Schon bald gerät auch Khalil in die Fänge der Islamisten … (Klappentext)
Wie so viele andere auch, musste ich „Die Welle“ von Morton Rhue in der Schule lesen. Darüber hinaus verlor ich ihn aus den Augen. Doch als mir „Dschihad Online“ in die Hände fiel, musste ich es kaufen.
Khalil versucht alles, um den Schein aufrecht zu halten, doch es wird immer schwerer: Seine Eltern mussten zurück nach Bosnien, um Verwandte zu pflegen, sein Bruder hat die Schule abgebrochen und er selber geht auch kaum noch hin. Um an Geld zu kommen, versuchen die beiden, einen Geldautomaten zu klauen. Die Abwärtsspirale zieht die Brüder immer weiter mit sich. Und in dieser Situation fängt Amir an, sich für den Dschihad zu interessieren, um endlich jemand zu sein. Er will bedeutend sein, auch wenn es den Tod bedeutet.
Um es vorweg zu nehmen: Dieses Buch war schwere Kost. Auch wenn es ein Jugendbuch ist, ist das Thema schwierig zu ertragen. Ich war auf vielerlei Arten geschockt: Ich verstand nicht, warum Khalil zu Anfang so wenig schockiert über die Videos und Meinungen war, die Amir ihm präsentierte. Er teilte die Meinung nicht, zuckte bei all der Gewalt aber nicht mal mit der Wimper. Und ein wenig schockiert war ich auch über mich, denn mit dem familiären und persönlichen Hintergrund der beiden Jungs konnte ich in einem gewissen Rahmen nachvollziehen, warum sie sich dem Extremismus zuwandten und immer antiamerikanischer wurden. Morthon Rhue beschrieb all die Enttäuschungen, Niederschläge und Rückschläge so eindringlich und greifbar, dass ich verstand, woher all die Ausweglosigkeit rührte, die den großen Bruder in den Kampf für den Islam trieb.
Dem Autor ist es mit Fingerspitzengefühl gelungen, nichts schwarz oder weiß darzustellen. Weder Amerika noch der Islam, nicht mal der Dschihad, sind per se gut oder schlecht gezeichnet. Sie alle haben ihre Argumente, die im jeweiligen Kontext plausibel sind.
Das Eindringen in den Extremismus ist der zentrale Punkt, der Kern des Ganzen. Die Geschichte an sich bietet mehr. Liebe, Freundschaft, Schulprobleme – doch dies bleiben Argumente. Sprungbretter weiter in den Islam hinein. Auch wenn sich hier und da ein interessanter oder anrührender Erzählstrang ergab.
Deswegen war ich nicht mal wirklich gespannt, was noch so passieren wird. Und erst recht habe ich in den Brüdern keine Identifikationsfiguren gesucht.
Ich fand das Buch erdrückend und sehr eindringlich. Eine Geschichte, die sich zwar dank der unpathetischen und flüssigen Sprache schnell lesen lässt, aber eben nicht wirklich leicht. Doch (nicht nur) für Jüngere ist das durchaus ein wichtiges Buch.
Morton Rhue – Dschihad Online
Ravensburger Verlag, 24. August 2016
ISBN 3473401188
253 Seiten
Gebunden; 14,99 Euro (als Taschenbuch erhältlich)