»Er war wie ein Wolf unter den Hasen. Und ich wollte sein wie er.«
Sie sind in derselben Jahrgangsstufe und trotzdem in verschiedenen Welten. Julia, Marlene und Leonard im Zentrum der Aufmerksamkeit, der Rest irgendwo in ihrer Umlaufbahn. Dann geschieht etwas, das alles verändert: Eines Morgens macht eine Internetseite die Runde, die bis dato auf privat gestellt war. Darauf zu finden sind Julias ungefilterte Gedanken, Bomben in Wortform, die sich in kürzester Zeit viral verbreiten. Wer hinter der Aktion steckt, ist zunächst unklar, doch nach und nach kommt heraus: Gründe dafür hätten einige. (Klappentext)
Ich konnte es kaum erwarten, in die Leserunde zu diesem Buch zu starten. Immerhin habe ich Anne Freytags andere All-Age-Romane geliebt. Und auch wenn ihr erster Thriller, „Aus schwarzem Wasser“, mich letztlich nicht abholen konnte, so war der Anfang doch wirklich stark.
Mit diesem Anfang musste sich „Das Gegenteil von Hasen“ nun messen lassen – und verlor.
Auch wenn man Dank des Gesprächsprotokolls direkt im Mobbingfall um Julia ist, der einsetzt, nachdem ihre Blogartikel veröffentlicht wurden, so war der Anfang doch recht unaufgeregt und langsam.
Aus dieser Langsamkeit kam das Buch bis zum Ende nicht heraus. Wäre ja ok gewesen, wenn Anne Freytag es doch schafft – und ich weiß, sie kann es – Spannung aufzubauen. Oder wie sonst üblich große Emotionen. Mitgefühl. Hat sie aber nicht.
Und die Geschichte hätte dazu sicher Potential gehabt. Julia lässt ihren Jute-Beutel, in dem sie alles Wichtige bei sich trägt, nach der Schule im Bus liegen. Am nächsten Tag bekommt sie ihn wieder, doch der Laptop fehlt. Und mit ihm der Zugang zu ihrem auf privat gestellten WordPress-Blog, der Julias geheimste Gedanken enthält. Mehrheitlich drehen sie sich um ihre Mitschüler. Julia hat eine gute Beobachtungsgabe und kann präzise Dinge beschreiben. Aus dieser Kombination sind mitreißende Artikel entstanden, die jedoch nie für die Augen anderer bestimmt waren. Doch jemand veröffentlicht die Artikel. Darüber Julias Name. Und damit hat sie plötzlich ihre Mitschüler gegen sich. Julia, die mit ihrer besten Freundin Marlene bis vor kurzem nicht nur zu den beliebtesten und hübschesten Mädchen der Schule zählte, sondern auch regelmäßig beim Mobben mit von der Partie war. Nun dreht sich der Spieß um.
Schon diese Ausgangssituation ließ mich mit dem Kopf schütteln. Warum zum Teufel sollte jemand etwas, das er wirklich niemals veröffentlicht wissen möchte, erst in WordPress schreiben? Warum nicht einfach in ein Schreibprogramm? Warum Julia nicht in ein Tagebuch schreibt, wird noch erklärt. Aber diese Logiklücke kriegt Anne Freytag einfach nicht weggeschrieben. Aber klar, dann hätte der Plot nicht funktioniert.
Der Fall um die veröffentlichten Blogartikel und wie die Mitschüler damit umgehen, wird aus verschiedenen Perspektiven beschrieben. Das brachte Abwechslung rein und ich konnte das Buch schnell lesen. Doch irgendwie waren die Personen alle gleich. Außen hart und innen weich. Für ihre Mitschüler gaben sie die Coolen, doch innerlich waren alle auf ihre Art unsicher und verletzt.
Außerdem wurden direkt ein paar Klischees bedient. Die Dicke wird gemobbt, die Homosexuelle hat eine strenge asiatische Mutter, der sie sich nicht anvertrauen kann, wer ausdrücken will, dass ihn die Meinung der anderen nicht interessiert, färbt sich die Haare grün. Alles schon mal dagewesen – und da war es schon nicht besonders innovativ.
Spannung soll aus einigen Richtungen erzeugt werden. Die Beziehungen zueinander, die sich stetig wandeln und nicht immer ganz gradlinig verlaufen und die große Frage: Wer hat Julias Laptop geklaut und veröffentlicht nun die Beiträge? Vor allem Zweites interessierte mich sehr und ich rätselte mit. Ebenso wie die Mitschüler hatte ich verschiedene Theorien.
Aber insgesamt passierte gefühlt kaum etwas. Die Story war seltsam behäbig und schien sich im Kreis zu drehen. Dramen zeichneten sich ab und wurden dann doch fallengelassen, Entwicklungen passierten nur in einem geringen Rahmen.
Und selbst die Einträge, auf die ich recht gespannt war, gaben nicht viel her, denn von den 30 bis 40 Artikeln, die Julia geschrieben hat, bekommt man nur drei zu lesen.
Dass das Thema Mobbing behandelt wird, ist wichtig und richtig. Gerade durch die steigende Internetnutzung Jüngerer wird es immer einfacher, anonym zu (cyber)mobben. Hier wird das Thema aus zwei Richtungen angegangen. Im Hintergrund das Mobbing, das Marlene und Julia vor Jahren betrieben. Hauptsächlich dreht es sich aber um das Mobbing, dem Julia nun ausgesetzt ist. So wird es immer wieder in den Gesprächsprotokollen mit der Schulleitung genannt: „Mobbingvorfall Julia Nolde“.
Doch ich frage mich: Ist das wirklich Mobbing? Julia wird nach dem Veröffentlichen geschnitten und auch körperlich angegangen. Doch vor allem für Erstes gibt es auch gute Gründe. Hier geht es um den tiefen Fall eines beliebten Mädchens. Obwohl auch fraglich ist, ob der Fall wirklich so tief ist, denn Julia verliert die Leute, die sie eh nicht mag, hat aber weiterhin Menschen an ihrer Seite.
Ich würde behaupten, dass das, was hier passiert, für Mobbingopfer, die jahrelang gequält und schikaniert wurden, ein herber Schlag ist. Denn wenn die Mitschüler ein paar Tage sauer sind, hinter dem Rücken tuscheln und blöde Kommentare ablassen, ist das zwar für Julia sehr unangenehm und eine Situation, die dich ungern zur Schule gehen lässt, aber doch noch kein Mobbing. Und selbst wenn Julia richtig verprügelt werden würde – was sie nicht wird – wäre es schlimm und Körperverletzung, ja, aber doch immer noch kein Mobbing.
Am Ende wird natürlich noch aufgelöst, wer Julias private Artikel öffentlich geteilt hat. Ich war wahnsinnig enttäuscht. Nicht von der Person, sondern was Anne Freytag daraus gemacht hat.
Alles in allem hat mich das Buch ziemlich enttäuscht.
Doch es gab auch viele Kleinigkeiten, die mir gefallen haben. Das Buch lässt sich schnell und flüssig lesen. Die Sprache war angenehm poetisch und in die Menschen konnte ich mich – trotz allem – gut hineinversetzen. Ich wollte auch wirklich gern wissen, wer hinter der Aktion steckt und ich wollte sehen, wie sich bestimmte Beziehungen entwickeln. Emotional berührt war ich jedoch nie. Dabei hat Anne Freytag mich mit ihren früheren Büchern schon so sehr zum Heulen gebracht.
In der Kombination ergibt das alles wirklich mittelmäßige .
Anne Freytag – Das Gegenteil von Hasen
Heyne Verlag, 25. Mai 2020
ISBN 3453272803
416 Seiten
Gebunden; 17,00 Euro
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