Wer bist du, wenn du schläfst?
Wegen massiver Schlafstörungen wurde Leon in seiner Jugend psychiatrisch behandelt. Seit langem glaubt er sich geheilt – doch als eines Nachts seine Frau unter mysteriösen Umständen verschwindet, keimt ein schrecklicher Verdacht in ihm: Ist er, wie damals, im Schlaf gewalttätig geworden?
Um seinem nächtlichen Treiben auf die Spur zu kommen, befestigt Leon eine bewegungsaktive Kamera an seiner Stirn – und entdeckt beim Betrachten des Videos Unfassbares: Sein schlafwandelndes Ich steigt durch eine ihm unbekannte Tür seiner Zimmers hinab in die Dunkelheit… (Klappentext)
Als ich von diesem Buch erfahren hatte, wusste ich aus zwei Gründen, dass ich es unbedingt haben muss: mein Lieblingsautor hat es geschrieben und es dreht sich um eines meiner Lieblingsthemen.
Die verschiedenen Schlafphasen und Träume haben mich schon immer interessiert. Nicht selten führe ich mit Familie und Freunden Gespräche über Träume und ihre Eigenarten. Nicht ohne Grund habe ich eine Schlaf-App, die aufnimmt, ob ich nachts rede oder vielleicht sogar schlafwandle (nee, leider nicht, ich atme nicht mal laut).
Wenn mein persönlicher Held des Psychothrillers sich dieser Thematik annimmt, ahnte ich, dass viel Gutes dabei herauskommen kann. Und das tat es!
Als Leon Nader mitten in der Nacht aufschreckt, weil seine Frau blutverschmiert und völlig zugerichtet fluchtartig Sachen aus dem Schrank reißt und verschwindet, ahnt er, dass sein Feind aus Kindertagen zurückgekehrt ist: das Schlafwandeln.
Seit seine Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen sind, leidet er unter massiven Schlafstörungen. Bei seinen ersten Pflegeeltern findet er sich eines Nachts mit einem Messer am Bett ihres Sohnes wieder. Ab diesem Zeitpunkt hat Leon Angst seinen Mitmenschen nachts etwas anzutun und bekommt darüber hinaus Angst vor dem Einschlafen. Erst in seiner neuen Pflegefamilie und mithilfe eines Psychologen kann ihm geholfen werden.
Nun, gut 20 Jahre später, als er glücklich verheiratet mit Natalie ist, scheint er wieder rückfällig geworden zu sein. Er hat seiner Frau offensichtlich Gewalt angetan.
Um sich selbst zu beobachten, kauft Leon eine Stirn-Kamera. So entdeckt er die Tür hinter seinem Schrank, die hinab in einen Schacht führt, der grausame Geheimnisse für ihn bereit hält und ihn erkennen lässt, dass er sich wohl nicht so gut kannte, wie er dachte.
Ab der ersten Sekunde war ich mittendrin in der Geschichte um Leon. Ich mochte ihn gleich sehr, fand ihn liebevoll, klug und authentisch und er tat mir so leid. Er hatte keine Ahnung, was er Natalie angetan hatte und litt deswegen stündlich mehr. Und dann hat er sich selber verloren, hatte keine Kontrolle über sein nächtliches Ich und war mehr um alle anderen besorgt als um sich selber.
Diese tolle Person war platziert in eine so dichte und dunkle Atmosphäre, dass ich immer schwankte zwischen: „Oh Gott, ich muss das Buch zur Seite lesen, es ist zu gruselig!“, „Ich kann es doch nicht zur Seite legen, ich muss jetzt sofort weiterlesen!“ und „Ok, ich lese weiter, aber nur langsam, damit ich länger etwas von dem Buch habe!“.
Der Grusel rührte jedoch nicht von offensichtlichen Schockmomenten, sondern er spielte sich wieder nur in meinem Kopf ab. So wie es in einem Psychothriller sein soll.
Dieses Empfinden wurde dadurch verstärkt, dass ich beim Lesen ständig verwirrt zurückblieb, nicht mehr wusste, wo und wann das jetzt eigentlich genau spielte und wie es dazu kam. Was mich bei anderen Büchern wohl eher abgeschreckt als angezogen hätte, war hier genau so, wie es sein sollte. Leon war nämlich ebenso unwissend und verwirrt, was mit ihm geschieht. Ich hoffte einfach nur, dass Fitzek am Ende alles gut zusammenführen und auflösen würde.
Diesen Gefallen hat er mir getan. Wieder einmal habe ich das Ende jedoch so nicht kommen sehen oder erwartet und las es mit fasziniertem Kopfschütteln und offenem Mund.
Das Buch lässt sich zusammenfassen als eine wahnsinnig tolle und spannende Geschichte um eine interessante Thematik mit flüssigem Schreibstil. Ständig konnte man miträtseln, wie alles zusammenhängt. Fitzek schaffte es auch wieder einmal, dass ich zu jeder einzelnen Figur ein Bild und eine Empfindung hatte, egal wie kurz der Auftritt war.
Ich kann nichts bemängeln, bleibe befriedigt zurück und trauere ein wenig, dass dieses Lesespektakel schon vorbei ist:
Sebastian Fitzek – Der Nachtwandler
Knaur Taschenbuch, März 2013
ISBN 3426503743
318 Seiten
Taschenbuch; 9,99 Euro